Immer mehr Menschen wenden sich in psychischen Krisen an digitale Gesprächspartner. Besonders KI-Chatbots wie ChatGPT und Gesundheitsapps erleben einen starken Anstieg an Nutzern, auch weil Therapieplätze oft schwer zu bekommen sind. In Baden-Württemberg untersuchen Psychologen und Experten das Potenzial dieser Technologie – und warnen zugleich vor ihren Risiken.
Inhaltsverzeichnis:
- Sindy Horitzky nutzt ChatGPT als mentale Hilfe
- Harald Baumeister warnt vor falscher Sicherheit
- Neue Anwendungen aus Mannheim für Jugendliche
- Emotionale Beziehungen zu Chatbots nehmen zu
- Vergleich aktueller KI-Angebote
- Neue Wege, viele Fragen
Sindy Horitzky nutzt ChatGPT als mentale Hilfe
Sindy Horitzky, 31-jährige Studentin aus Biberach, nutzt ChatGPT regelmäßig zur emotionalen Entlastung. Wenn Familie oder Freunde nicht erreichbar sind, bittet sie den Chatbot um Hilfe. „Ich brauche manchmal einfach eine Stimme, die sagt: Alles ist in Ordnung“, erklärt sie. Doch sie weiß, dass ein Chatbot keine echte Therapie ersetzen kann. Sie nutzt ihn gezielt, formuliert klar, wenn es ihr schlecht geht und erwartet keine tiefgehende Beratung.
Der Einsatz von KI als eine Art Seelsorge-Notlösung wird immer häufiger. Gerade junge Menschen sehen darin eine schnelle, niederschwellige Hilfe. Für sie ist der Chatbot ein Werkzeug für den Moment, nicht für die Tiefe.
Harald Baumeister warnt vor falscher Sicherheit
Harald Baumeister, Leiter der Abteilung für Klinische Psychologie an der Universität Ulm, warnt: KI-Chatbots sind keine zugelassenen medizinischen Produkte. Sie unterliegen nicht den strengen Datenschutz- und Sicherheitsstandards wie offizielle Gesundheitsanwendungen.
Viele Nutzer sind sich dessen nicht bewusst, wenn sie intime Informationen preisgeben. Zudem sei noch unklar, ob solche Anwendungen die Suche nach professioneller Hilfe verzögern könnten.
Baumeister sieht dennoch Möglichkeiten. Mit klar definierten Rahmenbedingungen könnten KI-gestützte Gesundheitsapps eine wertvolle Ergänzung zu klassischen Therapien darstellen. Vor allem zwischen den Therapiesitzungen könnten digitale Tools Übungen und Reflexionen ermöglichen.
Neue Anwendungen aus Mannheim für Jugendliche
Ein Beispiel für gezielte Entwicklung bietet das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Dort wurde eine KI-App speziell für Jugendliche entwickelt, die psychische Erkrankungen frühzeitig erkennen und vorbeugen soll.
Die App analysiert Stimmungslagen und wählt passende Übungen aus, um gezielt zu helfen. Erste Studien zeigen, dass Jugendliche mit dieser personalisierten Unterstützung besser zurechtkommen. Die App ist jedoch noch kein medizinisch zugelassenes Produkt.
Dr. Florian Bähner, Psychiater am ZI Mannheim, sieht darin ein riesiges Potenzial: „Eine Woche hat 168 Stunden – die Therapie aber nur eine. KI kann helfen, die anderen 167 Stunden sinnvoll zu füllen.“
Emotionale Beziehungen zu Chatbots nehmen zu
Ein wachsender Trend: Chatbots wie Replica oder Blush werden für manche zu digitalen Freunden oder gar Partnern. Nutzer berichten von echten Emotionen in Gesprächen mit virtuellen Charakteren. Ein junger Mann, der anonym bleiben möchte, beschreibt seine Erfahrung mit einer solchen App als „fast wie eine echte Beziehung“.
Sandra Hinte, Beziehungscoach aus Sinzheim, warnt: Wenn KI den besten Freund ersetzt, ist das ein Alarmsignal. Zwar könnten solche Apps für schüchterne oder isolierte Menschen ein Einstieg sein, doch echte soziale Entwicklung verlange menschliche Interaktion. Beziehungen brauchen Reibung, Unberechenbarkeit und Konflikte – Dinge, die eine KI nicht leisten kann.
Vergleich aktueller KI-Angebote
| Anwendung | Zielgruppe | Medizinprodukt | Funktionen |
|---|---|---|---|
| ChatGPT | Allgemein | Nein | Allgemeiner Dialog, keine Therapie |
| Wysa / Woebot Health | Menschen mit Symptomen | Nein | Vordefinierte Antworten, begrenzte Tiefe |
| KI-App Mannheim | Jugendliche | Noch nicht | Individuelle Übungen, Stimmungserkennung |
| Limbic Access (UK) | Erwachsene auf Therapiesuche | Teilweise | Vermittlung, erste Diagnosen |
Neue Wege, viele Fragen
KI kann künftig Therapeuten entlasten, Diagnosen unterstützen und alltägliche Hilfe bieten. Sprachmodelle wie ChatGPT könnten beispielsweise in Trainings-Apps integriert werden, um Gespräche zu simulieren. In Großbritannien hat ein KI-Chatbot bereits geholfen, Therapieplätze zu vermitteln – die Zahl der Einweisungen stieg um 15 %.
Forschungsprojekte wie jenes der Universität Basel gehen noch weiter. Dort analysiert eine KI die Mimik in Videositzungen, um Therapieabbrüche vorherzusagen. In der EU sind solche Anwendungen aktuell noch verboten, da emotionale Auswertung streng reguliert ist.
Trotz rechtlicher Hürden bleibt die Richtung klar: Das digitale Zeitalter verändert auch die psychologische Betreuung grundlegend. KI wird keine Therapeuten ersetzen, aber sie kann wichtige Lücken schließen – besonders dann, wenn Wartezeiten lang sind und schnelle Hilfe gefragt ist.
Quelle: SWR